Freitag, 27. Januar 2017

# 85 - Hoch die Tassen: Der SPIEGEL ist 70


Eine der meistgehassten Zeitschriften ist 70


Am 4. Januar 1947 wurde in Hannover eine neue Wochenzeitschrift aus der Taufe gehoben: Der nur 23 Jahre alte Rudolf Augstein wurde von drei britischen Offizieren der Militärregierung damit beauftragt, ein Nachrichtenmagazin nach dem Vorbild der britischen „News Review“ herauszubringen. Augstein fiel zunächst kein passender Name ein, aber sein Vater hatte spontan die richtige Idee: DER SPIEGEL.

Eine Woche nach seinem runden Geburtstag erschien am 11. Januar 2017 das Buch zum Jubiläum: 70 – Der Spiegel 1947–2017, herausgegeben vom aktuellen Chefredakteur Klaus Brinkbäumer. Konrad Adenauer bezeichnete den SPIEGEL als „Schmierblatt“, Willy Brandt schimpfte „Scheißblatt“ und Herbert Wehner war sogar der Meinung „Ein Blatt, weiter gar nichts“. Deutlich selbstbewusster ging Franz Josef Strauß mit dem Nachrichtenmagazin um, zumal ihn mit Rudolf Augstein eine gut gehegte und gepflegte Hassliebe verband: Dem Zitat „Was wäre der SPIEGEL ohne mich?“ ist nichts hinzuzufügen.

Die erste Botschaft bereits im Vorwort


Bevor überhaupt auf die Geschichte eines der ältesten Wochenblätter Deutschlands zurückgeschaut wird, erinnert sich Brinkbäumer in seinem Vorwort an den 4. November 2008. An diesem Tag gewann mit Barack Obama der erste afroamerikanische Kandidat die Wahl um das Amt des Präsidenten der USA. Brinkbäumer beschreibt, welche Hoffnungen sich damals mit Obamas Sieg verbunden hatten. „Yes, we can“ wurde zu einem Slogan, der um die Welt ging. Acht Jahre später wendete sich mit dem Sieg von Donald Trump das Blatt: Unter der massiven Zuhilfenahme von Twitter und Facebook gelang es ihm, seine demokratische Gegenkandidatin Hillary Clinton auszustechen, obwohl er sich eine soziale Grenzüberschreitung nach der anderen geleistet hatte. „Postfaktisch“ wurde danach zu einem neuen Schlagwort, dessen Bedeutung sich am einfachsten mit „nur auf Gefühlen, aber nicht auf Fakten beruhend“ übersetzen lässt. Brinkbäumer versteht den SPIEGEL wie schon zu Zeiten seiner Gründung als ein Medium, das die Dinge als das benennt, was sie sind: Rassisten sollen als solche bezeichnet werden, das gleiche gilt für Lügen. Ein hehrer Anspruch, der die Redaktion in den vergangenen 70 Jahren vor immer neue Herausforderungen gestellt hat.


Deutsche Geschichte spannend erzählt


70 - DER SPIEGEL 1947-2017 ist in sieben Abschnitte aufgeteilt, für jede Dekade einer. Auf einer Doppelseite werden zunächst die 32 besten Cover des Jahrzehnts abgebildet. Die Gründungsnummer 1 aus dem Jahr 1947 zeigte eine Person, die schon damals kaum bekannt war und heute völlig vergessen ist: Es ging im Heft um das Ziel Österreichs, künftig nicht mehr in vier Besatzungszonen aufgeteilt zu sein und staatlich souverän zu werden. Das Foto zeigte den Gesandten Österreichs Dr. Ludwig Kleinwächter, der im Augenblick der Aufnahme vor dem Weißen Haus seinen Hut zieht. Das Foto wird vielen bekannt vorkommen, die Geschichte dahinter wohl eher nicht.

Ähnlich ist es auch, wenn man weiter durch dieses Buch blättert: Es enthält neben zahlreichen Fotos von wichtigen oder bekannten Szenen oder Persönlichkeiten sehr umfangreiche Texte zu einzelnen Themen, die zum jeweiligen Zeitpunkt in aller Munde waren. Viele davon sind im Laufe der Zeit in den Hintergrund gerückt oder schlicht vergessen worden. Andere sind in der Erinnerung so präsent, als seien sie erst gestern passiert. 70 - DER SPIEGEL 1947-2017 gehört nicht zu den Büchern, die man von vorne bis hinten durchliest. Es ist eher ein sehr anschaulich und lebendig geschriebenes Geschichtsbuch, das auch für diejenigen interessant sein dürfte, die normalerweise keine SPIEGEL-Leser sind. Klaus Brinkbäumer hat für die Texte keine alten Artikel wieder „aufgewärmt“, sondern zu jedem ausgewählten Thema einen neuen Text geschrieben. Die Redaktion hatte sich für diese Art der Darstellung entschieden, weil der Abdruck einzelner Artikel oft aus dem Zusammenhang gerissen wirken kann und sich im Einzelfall der Sinn dahinter nicht erschließen würde. In den neu verfassten Texten wird berichtet, erklärt und auch ein Blick auf die eigenen Fehler geworfen. Immer wieder finden sich jedoch auch Artikel, die von Personen stammen, die sich über den SPIEGEL nicht immer gefreut haben. So hat zum Beispiel Willy Brandt, der zur Beisetzung des ermordeten Präsidenten John F. Kennedy nach Washington gereist war, über sein letztes Gespräch mit dessen Witwe berichtet.

70 – Der Spiegel 1947–2017 ist ein wichtiges Zeitdokument, was auch gewichtig daherkommt: Mit mehr als 1,8 kg Gewicht hat es eindeutig kein Handtaschenformat mehr.


Ich bedanke mich beim Bloggerportal, das mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. 70 – Der Spiegel 1947–2017 ist bei der Deutschen Verlags-Anstalt erschienen und kostet 34,99 Euro.

Freitag, 20. Januar 2017

# 84 - Über einen Bestatter, dem der Tod auf die Pelle rückt

Das Leben ist riskant und endet immer tödlich

 

Paddy Buckley arbeitet seit einer Ewigkeit in Dublin als Bestatter für Frank Gallagher. Schon sein Vater war dort als Tischler beschäftigt und hat sich bis zu seinem Tod um die Särge gekümmert. Als Kind ging Paddy deshalb bei Gallagher ein und aus. Ihm ist fast nichts mehr fremd, und er hat mehr Tote gesehen, als er zählen kann. Doch Jeremy Massey schüttelt in seinem ersten Roman Die letzten vier Tage des Paddy Buckley das Leben des Mannes so gründlich durch, dass innerhalb weniger Tage nichts mehr so ist, wie es einmal war.

Leichen pflastern seinen Weg...

 

Paddy Buckley ist gern Bestatter und hat seinen Job all die Jahre gewissenhaft und empathisch erledigt. Der Tod ist sein Geschäft, aber vor einigen Jahren ist er ihm zu nahe gekommen: Seine schwangere Frau Eva starb an einem Hirnschlag, während sie im Supermarkt an der Kasse anstand. Den Schock hat er nur schwer verarbeitet, aber er lebt sein Leben weiter.
Am 13. Oktober 2014 um 9.40 Uhr fängt Paddys Leben jedoch an, zu Staub zu zerfallen. Das Verrückte daran: Es ist, als würde er sich selbst beim Rasen in einem Sportwagen beobachten, immer in der Gewissheit, dass die nächste Mauer das Letzte ist, was er lebend sehen würde. Aber nichts kann diesen rasenden Sportwagen aufhalten.
Es beginnt damit, dass Paddy von Gallagher zu einer Witwe geschickt wird, deren Mann vor wenigen Stunden gestorben ist. Die beiden besprechen die Details der Bestattung und kommen sich dabei deutlich näher, als es üblich ist. Ganz offensichtlich findet die Witwe Trost in der sehr intimen Zweisamkeit. Doch als die beiden zum Höhepunkt kommen, bricht die Frau tot auf Paddy zusammen. Was eigentlich eine Katastrophe ist, soll schon in der darauffolgenden Nacht zum kleinsten Problem des Bestatters werden.

Unglückliche Umstände? Wie viel Pech kann man haben?

 

Paddy schlittert geradewegs in die nächste Misere: Er hat kaum den Notarzt gerufen, als die wegen des verstorbenen Vaters angereiste Tochter des Ehepaars zur Haustür hereinkommt und nach ihrer Mutter fragt. Mühsam ringt er um eine plausible Erklärung und hofft, dass die spätere Obduktion keine Hinweise auf seine Beteiligung am Ableben der Kundin zutage bringt.
So viel Pech reicht eigentlich für einen Tag, aber Paddy setzt noch eins drauf: Schon in der folgenden Nacht, in der er einen Toten aus dem örtlichen Altenheim für Arme holen soll und dann auch noch in strömendem Regen einen Reifen wechseln muss, geht das Desaster weiter. Er ist in seinem Privatwagen todmüde auf dem Weg nach Hause, als sich drei Dinge praktisch gleichzeitig ereignen: Paddy bemerkt, dass er ohne Licht fährt, nestelt an seinem Autoradio herum und sieht, dass eine Gestalt, die sich gegen den Regen eine Zeitung über den Kopf hält, kurz vor ihm über die Straße geht. Viel zu kurz vor ihm. Sekundenbruchteile später prallt ein Mensch mit Paddys Wagen zusammen, fliegt meterhoch durch die Luft und bleibt tot liegen. Paddy ist unter normalen Umständen ein moralisch ziemlich aufrechter Mensch, aber nach einem Blick in die Brieftasche des Fremden wirft der Bestatter alle ethischen Grundsätze über Bord und entschließt sich zur Fahrerflucht: Er hat den Bruder des gefährlichsten Gangsters von Dublin getötet. Ehrlichkeit wäre jetzt das sichere Todesurteil. Doch es kommt noch dicker: Der völlig verängstigte Paddy wird von seinem ahnungslosen Chef damit beauftragt, sich um die Bestattung dieses Toten zu kümmern. Seine Gefühle beim ersten Besuch des trauernden Gangsterbosses sind so ähnlich, als würde man seinen Kopf in das weit geöffnete Maul eines hungrigen Löwen stecken.

Eine Mischung aus Krimi und schwarzem Humor

 

Jeremy Massey gelingt es, seine Story so aufzubauen, dass auch die absurdesten Szenen absolut nachvollziehbar sind und gar nicht so unwahrscheinlich wirken, wie es der Plot nahelegt. Seine plastische Sprache lässt den Leser wie einen stummen Zuschauer neben Paddy stehen und ihn dabei beobachten, wie sich die Abwärtsspirale immer schneller dreht. Die letzten vier Tage des Paddy Buckley ist ein Roman, der trotz des Grusels eine heitere und hoffnungsvolle Seite hat. Und die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

Die letzten vier Tage des Paddy Buckley wurde mir vom Bloggerportal zur Verfügung gestellt, wofür ich mich herzlich bedanke. Es ist als Klappenbroschur bei carl's books erschienen und kostet 14,99 €.




Samstag, 14. Januar 2017

# 83 - Vom konservativen preußischen Junker zum Pazifisten

Eine ungewöhnliche Lebensgeschichte eines heute vergessenen Demokraten

 

Mit dem autobiographischen Buch Von Rechts nach Links von Hellmut von Gerlach stelle ich einen Titel vor, der sich seit den 1980-er Jahren in meinem Bücherschrank befindet. Nicht nur von Gerlach ist aus dem kollektiven Gedächtnis so gut wie verschwunden, das Buch war es auch aus meinem. Zu Unrecht.

Kindheit und Jugend im Schutz des Adelsstandes

 

Hellmut von Gerlach wurde 1866 in Mönchmotschelnitz, einem Dorf in Niederschlesien, als Sohn eines Großgrundbesitzers geboren und wuchs im elterlichen Schloss auf, an das er sich als einen im Winter eiskalten Kasten erinnert, dessen Saal sich bei einer Außentemperatur von -22° C auf maximal 6° C heizen ließ. Ihm wurde früh klar, dass er unter privilegierten Verhältnissen aufwächst, er nahm das aber zur Kenntnis wie jemand, der der Meinung ist, dass ihm das aufgrund seines Standes zusteht. Er stieß sich erst als Jugendlicher daran, dass die Knechte mit ihren Familien und ihren bis zu 12 Kindern in einem einzigen Zimmer hausen mussten, während die eigene Familie in ihrem Schloss viele Räume gar nicht bewohnte. Bis zum Abitur war er strikt antisemitisch, militaristisch und erzkonservativ. Juden waren für ihn herumziehende und zerlumpte Menschen, die bettelnd oder Haushaltswaren verkaufend von Tür zu Tür ziehen. So kannte er sie aus seiner Heimat. Das Jurastudium in Genf zeigte ihm, dass es in Europa noch andere Vorstellungen von einem sozialen Miteinander gab, die mit dem Dünkel und den Moralvorstellungen des deutschen Adels und der Junker nichts gemeinsam hatten: Hier studierten auch zahlreiche Frauen, was an den deutschen Hochschulen noch völlig undenkbar war. Ursprünglich nur, um seine Französischkenntnisse zu verbessern, nahm von Gerlach an zahlreichen Versammlungen und Vorträgen teil. Dort begegnete er Anschauungen und Gepflogenheiten, die den eigenen und gewohnten diametral entgegenstanden: Die Polizei hielt sich so weit wie möglich im Hintergrund, der Staat brachte allen Bürgern grundsätzlich Vertrauen entgegen und errichtete öffentliche Gebäude, die allen Parteien gleichermaßen für ihre Wahlveranstaltungen zur Verfügung gestellt wurden. Das war genau das Gegenteil dessen, was der junge deutsche Student aus der eigenen Heimat gewohnt war, wo die Regierung jede legale und illegale Möglichkeit nutzte, um die Sozialdemokratie klein zu halten. In von Gerlach regten sich erste Zwiefel, ob das, was er bislang als normal und richtig angesehen hatte, dies auch tatsächlich war. Er setzte sein Studium in Straßburg, Leipzig und Berlin fort und trat als Rechtsreferendar in den Staatsdienst ein. 

Von allen Seiten: Erwartungen, die es zu erfüllen galt

 

Hellmut von Gerlachs Großväter hatten es zu etwas gebracht: Der eine war Polizei- und später Regierungspräsident gewesen, der andere hatte sich als angesehener Agrarexperte einen Namen gemacht und war dafür von der Universität Berlin mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet worden. Eine achtbare berufliche Laufbahn wurde unausgesprochen auch von ihm erwartet. Die Anstellung als Rechtsreferendar am Amtsgericht Lübben zeigte ihm erstmals deutlich, wie weit Wunsch und Wirklichkeit voneinander entfernt sein können. War es während des Studiums um Recht und Gerechtigkeit gegangen, behielten am ländlichen Amtsgericht Beständigkeit und Gemütlichkeit die Oberhand: Alles sollte so bleiben, wie es immer gewesen war, auch Urteile, die nach Sympathie oder Antipathie gesprochen wurden. Von all dem war von Gerlach so wenig ausgefüllt, dass er sich bereit erklärt hatte, für die lokale Zeitung gratis Theaterkritiken zu verfassen. Die "bessere Gesellschaft" nahm den mutmaßlichen Kontakt mit den nicht standesgemäßen Schauspielern derart übel, dass er auf dieses Hobby verzichten musste, um nicht seine Anstellung zu gefährden. Es verschlug ihn als Rechtsreferendar an weitere Orte, bevor er Regeirungsassessor in Ratzeburg wurde. 1892 verließ er den Staatsdienst und wurde Journalist. Seinem gesellschaftlichen Ansehen schadete dieser Schritt. Seine berufliche Tätigkeit für das Königreich Preußen hatte ihn immer wieder gezwungen, die Augen vor groben Ungerechtigkeiten zu verschließen und dem Unrecht den Vorzug zu geben: Zu beobachten, wie die aufkeimende Sozialdemokratie zugunsten der Erhaltung der Monarchie unterdrückt wurde, widersprach seinem Gerechtigkeitssinn. So war es allgemein üblich, dass an Wahltagen diejenigen Züge, die in den riesigen Wahlkreisen die überwiegend sozialdemokratisch gesinnten Wähler in die Wahllokale bringen sollten, auf freier Strecke anhielten und erst weiterfuhren, wenn die Wahl beendet war. Schuld war selbstverständlich immer der schlechte technische Zustand der Züge. Auch die Tatsache, dass sich Reichskanzler Bismarck ständig davor drückte, Steuern zu zahlen und sich deswegen auch für Repressalien gegen Untergebene nicht zu schade war, ärgerte von Gerlach.
Sein Beruf führte ihn auch in einige afrikanische Kolonien, die von Deutschland oder England beansprucht waren. Der Umgang der Engländer mit den "Negern" war aus seiner Sicht deutlich geschickter als der der deutschen Kolonialherren: Sie waren mit Diplomatie und einem Gespür für die örtlichen Gegebenheiten erfolgreich, während seine Landsleute mit Einschüchterung und Gewalt versuchten, die Einheimischen zu unterwerfen.

Irrtümer und Enttäuschungen

 

Hellmut von Gerlach hatte sich lange Zeit Vorbilder gesucht, die ihm helfen sollten, den Weg zur richtigen Anschauung zu finden. In Von Rechts nach Links gibt er mehrmals selbstkritisch zu, sich in seinerzeit bekannten und geachteten Persönlichkeiten getäuscht und sich auf dem Holzweg befunden zu haben. 1898 versuchte von Gerlach im Wahlkreis Lingen-Bentheim einen Sitz im Preußischen Abgeordnetenhaus zu erringen. Doch seine liberalen Ansichten und seine Bemühungen um die Stimmen der Textil- und Eisenbahnarbeiter weckten bei den nationalliberalen Fabrikbesitzern so viel Argwohn, dass sie sich mit der verhassten Deutschen Zentrumspartei zusammentaten, um Gerlachs Wahl zum Abgeordneten erfolgreich zu verhindern. Etliche Jahre stand von Gerlach dem Theologen Stoecker politisch nahe, dessen Hetze gegen die Juden stieß ihn allerdings zunehmend ab. Er brach mit Stoecker und wandte sich dem charismatischen Friedrich Naumann zu, der die Vorstellung einer klassenübergreifenden Einheitsgesellschaft vertrat.
Der Ausbruch des 1. Weltkriegs und dessen weiterer Verlauf machten Hellmut von Gerlach endgültig zum Pazifisten. Er nahm wahr, wie die Militärführung das deutsche Volk mit Übertreibungen über die eigene Stärke und die Schwäche der Kriegsgegner belog und es über die wahre Situation beständig im Unklaren ließ. Dazu trug die massive Zensur der Presse bei, die sich in den fast 4 1/2 Kriegsjahren ständig verschärfte und die Bürger dumm hielt. Pazifisten, die sich offen gegen den Krieg aussprachen, wurden bespitzelt, ihre Telefongespräche wurden abgehört und ihre Post geöffnet.

Lebendige Geschichte: deutsche Geschichte vor 100 Jahren

 

Hellmut von Gerlach hat mit Von Rechts nach Links ein autobiographisches Werk geschaffen, das das Leben im Preußischen Reich, der Weimarer Republik und dem Dritten Reich greif- und verstehbar macht. Seine Sprache ist schnörkellos, und der Autor ist auch gegen sich selbst schonungslos ehrlich. Er ist sich immer im Klaren darüber gewesen, dass sein Leben allein aufgrund seines sozialen Standes ruhiger und gesicherter hätte verlaufen können. Aber er hat sich bewusst dafür entschieden, seinen Anschauungen zu folgen und sich durch seine journalistische Arbeit und später als Abgeordneter des Reichstags und Unter-Staatssekretär für Demokratie, Menschenrechte, Abrüstung und Meinungsfreiheit einzusetzen. Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht in Deutschland übernahmen, wurde von Gerlach der Pass entzogen und sein Name landete auf der Ausbürgerungsliste. Er floh nach Österreich und siedelte von dort nach Frankreich über, wo er bis zu seinem Tod 1935 lebte. Er war den Nationalsozialisten derart ein Dorn im Auge, dass sein 1926 erschienenes Buch Die große Zeit der Lüge 1933 der Bücherverbrennung zum Opfer fiel.

Von Rechts nach Links ist erstmals 1937 in Zürich erschienen und wurde mehrmals neu aufgelegt. Mein Exemplar stammt aus dem Jahr 1987 und wurde im Fischer Taschenbuch Verlag herausgegeben. Der Verlag hat es  im Oktober 2015 erneut herausgebracht. Es kostet jetzt als Taschenbuch 14,99 € und als Kindle-Edition 11,99 €. Unbedingte Leseempfehlung.

Freitag, 6. Januar 2017

# 82 - Biogasanlage entzweit Dorfbewohner

Debutroman spielt auf dem platten Land

 


Mit der ersten Buchvorstellung für 2017 wünsche ich euch allen ein frohes neues Jahr und dass die Dinge für euch so laufen, wie ihr sie euch wünscht. Das heutige "Premierenbuch" in diesem Jahr ist ein Self-Publishing-Buch, doch damit enden die Parallelen zur ersten Rezension aus dem Jahr 2016 auch schon (Boat People).
Das Dorf Muckeringen ist im Roman Gas und Galle von A. C. Scharp in heller Aufregung: Bauer Matthias, der den Hof von seinem Vater übernommen, mit Nutztieren aber nicht viel am Hut hat, plant den Bau einer Biogasanlage. Sein Partner ist das örtliche Versorgungsunternehmen Ekelon Gas. Wie zu erwarten war, sind sich die übrigen 16 Einwohner des Dorfes nicht einig, was sie davon halten sollen. Ihre Gründe, für oder gegen das Projekt zu sein, haben allerdings nicht in jedem Fall etwas mit der Anlage zu tun.

Eine Bürgerinitiative soll es richten

 

Bevor überhaupt irgendwelche Einzelheiten feststehen, blasen die eitle Nicole Rotter und Alt-Hippie Stephanie Gärtner zum Angriff. Ihr Repertoire reicht vom Malen von dilettantischen Protestplakaten über Dorfzusammenkünfte im heimischen Wohnzimmer bis zu Aktionen, die ein klarer Rechtsbruch sind. Dafür lässt sich sehr gut Stephanies Mann Christian einspannen: ein Waschlappen mit Ingenieur-Diplom, der keine Ahnung hat, wie er seiner Frau schonend beibringen soll, dass er der Projektleiter für den Bau der ihr so verhassten Anlage ist.
Der Bürgerprotest erhält jedoch weniger durch Fakten, die die Anlage betreffen, sondern eher durch persönliche Allianzen oder Abneigungen immer neue Nahrung. Da wird zuerst verhalten, dann offener fremdgegangen, der zurückgezogen lebende Single-Bauer Matthias hat eine Art Damen-Fanclub, dessen Mitglieder sich gegenseitig misstrauisch beäugen, und dann gibt es sogar noch drei Tote, die auf gewaltsame Art und Weise ihr Leben aushauchen. Das wiederum führt zu Verdächtigungen und schürt das Misstrauen sogar unter Eheleuten. Wie weit würde eine der engagiertesten Gegnerinnen der Biogasanlage, die bereits öffenlichkeitswirksam und im Namen der guten Sache ihren Allerwertesten in die Kameras der Reporter gehalten hat, gehen, um das Bauwerk zu verhindern?
Doch die Einwohnerschaft von Muckeringen wird nicht nur durch die Toten reduziert, das Dorf hat noch weitere Abgänge zu verkraften. Bauer Matthias trifft eine Entscheidung, die für die Resteinwohnerschaft des jetzt noch unbedeutenderen Dorfs Folgen hat.

Wie war's?

 

A. C. Scharp ist mit ihrem Erstlingswerk ein Buch gelungen, das sich wegen seiner flüssigen Formulierung gut lesen lässt. Einzige Einschränkung: Mir hätte es besser gefallen, wenn sich der Bürgerprotest hin und wieder deutlicher auf Fakten gegründet hätte. Ich hatte allerdings den Eindruck, dass die Bürgerinitiative für ihre treibenden Kräfte in erster Linie  dazu diente, die eigenen Eitelkeiten zu bedienen und persönliche Ziele zu verfolgen. Davon abgesehen kann ich das Buch als gut gemachte Unterhaltungslektüre empfehlen.
Ähnlichkeiten zum Roman Unterleuten sind aufgrund des ähnlichen Plots vorhanden, ich gehe jedoch davon aus, dass A. C. Scharp zum Erscheinungstermin von Juli Zehs Roman bereits mit ihrem eigenen beschäftigt war und diese Überschneidung schlicht Pech ist.
Gas und Galle ist als SP-Ausgabe erschienen und kostet als Taschenbuch 9,99 € und als Kindle-Edition 2,99 €. Ich bedanke mich bei Blogg dein Buch für das Überlassen eines Rezensionsexemplars.
Die Autorin stellt sich auf ihrer Homepage vor. Ihr Buch kann im stationären Buchhandel und bei amazon bestellt werden.

 

 



Sonntag, 1. Januar 2017

Tops und Flops - Das war das Jahr 2016 in der Bücherkiste

Romane, Thriller, Sachbücher, Fotobände 

 

Auch 2016 war wieder ein Mix sehr unterschiedlicher Bücher. Dabei kamen sowohl Titel aus großen Verlagen als auch von unabhängigen Verlagshäusern sowie Independent Publisher zum Zuge. Die "Indies" haben es oft trotz hoher Qualität schwer, sich durchzusetzen und ein Mindestmaß an Bekanntheit zu erreichen, das für ein paar Einnahmen sorgt. Darum wird es auch künftig dabei bleiben, dass ich SP-Bücher vorstellen werde, wenn sie mir gefallen.


Meine persönlichen Highlights aus 2016

 

Ich werde keine Hitliste à la "Die 10 besten Bücher" aufstellen, weil das mehreren Titeln nicht gerecht würde. Aber eine Reihe von Büchern hat mir nun mal besser gefallen als andere.

Kind 44Am 22.Januar  ging es um Kind 44: Tom Rob Smith erzählt angelehnt an einen tatsächlichen Fall die Geschichte eines Kindermörders, der in der UdSSR zwischen 1978 und 1990 sein Unwesen trieb und1994 hingerichtet wurde. Spannend erzählt, verbunden mit einer Kritik am politischen System und dessen Mechanismen.







Der DistelfinkEin richtig tolles Buch war am 6. Februar Der Distelfink von Donna Tartt. Der 27-jährige Theo Decker blickt auf seine Jugend und den Tag zurück, der sein ganzes Leben verändern sollte: Während er als 13-Jähriger mit seiner Mutter das New Yorker MoMa besucht, kommt es zu einem Bombenanschlag, bei dem seine Mutter getötet wird. Theo wird von einem sterbenden Besucher dazu aufgefordert, das Gemälde Der Distelfink des niederländischen Malers Fabritius zu retten, was er auch tut. Nach diesem Ereignis irrlichtert Theo durch sein Leben. Mitreißend erzählt und trotz seines Umfangs von über 1.000 Seiten nie langweilig, 


Vom Yin ... 

Jens Thaele hat mit seinem Buch Vom Yin und Yang der digitalen Revolution eine Art Leitfaden verfasst, der sich an Leser richtet, die wissen wollen, was es mit den neuen Technolgien auf sich hat und wie sie sie für sich nutzen können. Ein verständlich geschriebenes Sachbuch mit Abbildungen, die das Gelesene noch näher bringen.







Repair CafeRepair Café stammt von einem Autoren-Team, das zu den Gründungsmitgliedern eines Stuttgarter Repair Cafés gehört. Mit dieser Idee, die  mittlerweile deutschlandweit ihre Fans hat, sollen defekte Alltagsgegenstände repariert werden, sodass sie nicht weggeworfen und keine neuen Dinge angeschafft werden müssen. Es geht darum, nicht nur Geld, sondern auch Ressourcen zu sparen. Das Buch verfügt über zahlreiche Fotos, die die Schritt-für Schritt-Anleitungen unterstützen.







Sechs JahreIn Sechs Jahre schildert Charlotte Link das lange Sterben ihrer Schwester, die an Darmkrebs erkrankt war, letztendlich aber nicht daran, sondern an den zeitversetzt auftretenden Nebenwirkungen einer früheren Krebstherapie zugrunde gegangen ist. Die Autorin schrieb dieses Buch auf ausdrücklichen Wunsch ihrer Schwester und um das Erlebte zu verarbeiten. Kein selbstmitleidiges Gejammer, sondern eine empathische Darstellung dessen, was die gesamte Familie an Höhen und Tiefen in dieser Zeit erlebt hat. 





Ausgerechnet KabulDie Journalistin Ronja von Wurmb-Seibel hatte viel über Afghanistan gehört, und ihre Vorstellungen deckten sich mit denen der meisten Menschen, die das Geschehen dort in den Nachrichten verfolgen: Krieg, Terror und Taliban - etwas anderes schien es in diesem Land nicht zu geben. Doch die Autorin wollte es genauer wissen und lebte ein Jahr mitten in Kabul. In Ausgerechnet Kabul schildert sie ihre Erlebnisse und Erfahrungen. 







Panama PapersAm 3. April veröffentlichten die beiden Journalisten der SÜDDEUTSCHE ZEITUNG Bastian Obermayer und Frederik Obermaier die Recherchen aus den Panama Papers, kurz darauf erschien ihr Buch dazu. Es geht um das größte jemals ausgewertete Datenleak eines bis heute unbekannten Informanten, das offenbart, wie die Reichen und Mächtigen unserer Welt ihr Geld vor dem Steuerzugriff der Staaten verstecken. Ein Jahr lang waren sie zusammen mit dem  International Consortium for Investigative Journalists (ICIJ) in Washington D. C. damit beschäftigt, 2,6 Terabyte Datenvolumen aufzubereiten und auszuwerten. Ihre zentralen Erkenntnisse: Es ist relativ leicht, ein Vermögen unsichtbar zu machen, und 1 % der Menschen lebt auf Kosten der übrigen 99 %. Auf die völlig gerechtfertigte Empörung der Steuerzahler warte ich bis heute. Ein spannendes Sachbuch, das Gründe liefert, sich die Haare zu raufen.


Till TürmerIn Till Türmer und die Angst vor dem Tod beschäftigt sich Andreas Klaene mit genau dem, was der Titel ankündigt: Wie gehen wir damit um, wenn uns der Tod begegnet und sich jemanden holt, der uns nahesteht? Sehen wir ihn als das, was er ist, nämlich einen Teil des Lebens? Oder ziehen wir lieber den Kopf ein und tun so, als wäre die Endlichkeit des Seins nicht mehr als ein böses Gerücht? Der Journalist Till Türmer muss sich entscheiden, ob er bereit ist, seine Vermeidungsstrategien abzulegen und sich dem Thema zu stellen, um sein Glück zu finden. Ein SP-Buch, das mir gut gefallen hat, weil es mit dem Sterben unverkrampft umgeht und sich so mancher Leser zumindest ein bisschen in Till wiedererkennen dürfte.




Maklerfotos
DER Favorit meiner Leser war Maklerfotos aus der Hölle, in dem sich ein Auszug der Immobilienscheußlichkeiten befindet, die Andy Donaldson auf seinem Blog gesammelt hat. Donaldson war auf die Idee gekommen, als er in London auf Wohnungssuche war und in Internetportalen auf von Maklern gemachte Fotos stieß, die an deren beruflicher Kompetenz starke Zweifel aufkommen ließen. Das Buch garantiert endlose Lachsalven, da der Autor nicht nur die Fotos präsentiert, sondern jedes einzelne Bild mit einem brüllend komischen Kommentar ausstattet.


UnterleutenJuli Zeh hat mit ihrem Gesellschaftsroman Unterleuten einen Bestseller geschrieben, den sie in dem kleinen gleichnamigen (erdachten) Dorf in Brandenburg angesiedelt hat. Kaum ein Buch wurde zuvor mit so viel medialem Aufwand begleitet wie dieses und hat die Riege der Kritiker so gespalten. Eine Windkraftanlage rüttelt Unterleutens Einwohner auf und teilt sie in zwei unversöhnliche Lager. Trotz des ansonsten immer beschworenen Gemeinschaftssinns ist letztlich jeder sich selbst am nächsten und versucht aus der Situation so viel wie möglich herauszuholen. Juli Zeh inszeniert eine Handlung, wie sie in jedem anderen Ort stattfinden könnte oder bereits stattgefunden hat. Für mich eines der Buch-Highlights des Jahres.

MallorcaAn Mallorca clásica mit Fotos des vor einem knappen Jahr verstorbenen Fotografen Josep Planas I Montanya führte für mich kein Weg vorbei. Als Mallorca-Fan musste dieses Buch in meinem Regal landen. Wer mit der größten Baleareninsel mehr verbindet als nur Ballermann und Eimersaufen, sollte sich diesen Fotoband auf jeden Fall kaufen. Josep Planas I Montanya hat jahrzehntelang Fotos von Mallorca gemacht und so dokumentiert, wie sich die Insel unter dem Einfluss des Tourismus verändert hat. Dieses Buch nimmt man immer wieder gern in die Hand.





Die UnglückseligenThea Dorn hat sich in ihrem Roman Die Unglückseligen mit der Unsterblichkeit befasst, die seit jeher Forscher umtreibt. Eine deutsche Molekularbiologin und ein Physiker, der bereits 240 Jahre alt ist, begegnen sich zufällig in einem amerikanischen Supermarkt. Der Physiker hat während der Zeit der deutschen Romantik zahlreiche Experimente mit Elektrizität gemacht - an sich selbst. Heute ist er von einer so guten Konstitution, dass Verletzungen, die er sich zuzieht, ungewöhnlich schnell heilen. Sind seine Versuche der Schlüssel zu den Forschungen der deutschen Wisssenschaftlerin? Thea Dorn wechselt zwischen den Epochen und bedient sich zugunsten der Authentizität verschiedener Dialekte. Der Teufel hat übrigens auch seine Hände im Spiel. Die Unglückseligen ist ein unter Kritikern und Rezensenten stark diskutiertes Werk, das mir trotz einiger Schwächen sehr gut gefallen hat.


The DryIn einem kleinen australischen Kaff hat ein Farmer offensichtlich zuerst seine Frau und seinen kleinen Sohn ermordet und sich dann anschließend selbst erschossen. Nur die einjährige Tochter wird verschont. Die Sachlage ist klar, die Polizei legt den Fall bereits zu den Akten, bevor die Toten unter der Erde sind. Das ist die Ausgangslage in Jane Harpers Debutroman The Dry. Der Jugenfreund des toten Familienvaters kommt nach 20 Jahren zur Trauerfeier in seinen Heimatort zurück und wird dort unmittelbar mit den Vorbehalten konfrontiert, die die langjährigen Einwohner gegen ihn haben: Hat er damals ein junges Mädchen getötet? Zusammen mit dem örtlichen Sergeant beginnt er, sich die Begleitumstände zum Tod seines Freundes und dessen Familie näher anzusehen. Ein sehr spannender Thriller, der erst kurz vor dem Ende offenbart, wie sich alle Puzzleteile zusammenfügen.


13 Titel, die mir sehr gut gefallen haben, und viele weitere, die ebenfalls sehr gut waren, aber nicht alle genannt werden können. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten.


Die Flops 2016

 

Boat PeopleGleich das erste Buch, das ich 2016 vorgestellt habe, war mit Abstand das schlechteste dieses Blogs. Boat People von Roland Künzel wäre ein heißer Titelanwärter, wenn es einmal um den Roman mit der größten Unglaubwürdigkeit gehen sollte. 23 Flüchtlinge eines afrikanischen Phantasielandes werden nachts an einem Strand von Gran Canaria abgesetzt. Durch eine Verwechslung werden jedoch anschließend nicht sie, sondern 23 Urlauber, die in der Nähe eine Piratenparty gefeiert haben, von einem Schlepper abgeholt und zurück gen Afrika gebracht. "Selbstverständlich" erkennt der dortige britische Hafenmeister nicht, dass es sich hier nicht um Afrikaner, sondern um Europäer, deren Gesichter mit Dreck geschwärzt wurden, handelt. Währenddessen werden die Flüchtlinge auf den Kanaren irrtümlich für die wohlhabenden Touristen gehalten, die sich nun auf einer Odyssee in Afrika befinden, und behandelt wie Könige. Die Zukunft Großbritanniens wird gegen Ende durch eine Entscheidung der Queen bestimmt, die ihr Augenmerk auf eine Afrikanerin gelenkt hat, die zur Flüchtlingsgruppe gehörte, zwischenzeitlich aber auf die Touristen getroffen ist und sich in einen von ihnen verliebt hat. Phantasie ist eine feine Sache, wenn sie nicht zu einer Gemengelage von unsinnigen Szenarien verquirlt wird.

MörderhotelZwei Monate später habe ich über ein Buch geschrieben, von dem ich mir deutlich mehr versprochen hatte, als es gehalten hat: Mörderhotel von Wolfgang Hohlbein ist der erste Titel, den ich von diesem bekannten und erfolgreichen Autor gelesen habe. Anfangs war ich von der Vorstellung ausgegangen, dass jemand mit so viel Schreiberfahrung wie Hohlbein auf jeden Fall etwas Überzeugendes abliefern würde, aber leider war dem nicht so. Der Arzt Mudgett betreibt zusammen mit seinem besten Freund zur Zeit der Weltausstellung in Chicago 1893 mit mäßigem Erfolg ein Hotel. Als Arlis Christen in Begleitung eines Privatdetektivs im Hotel eincheckt, weil sie von dort aus die Suche nach ihrer verschwundenen Schwester beginnen will, wird Mudgett hellhörig: Die gesuchte Dame war geraume Zeit seine Geliebte. Christen und ihr Begleiter stoßen nach und nach auf Erkenntnise, die belegen, dass es sich bei dem Arzt um einen sadistischen Massenmörder handelt, der in einem geheimen schalldichten Folterkeller innerhalb des Hotels sein Unwesen treibt. Die Handlung lehnt sich an einen tatsächlichen Fall an, statt Spannung kommt allerdings nur Ekel auf. Splatter wäre die richtige Bezeichnung für dieses Werk gewesen, dass darüber hinaus auch noch mit einigen Logikfehlern aufwartet. Keine Empfehlung.

Heilige KuhDavid Duchovny hat mit Heilige Kuh sein erstes Buch auf den Markt gebracht, das ich hier als Hörbuch vorgestellt habe. Duchovny ist u. a. durch die Serie "Akte X" bekannt geworden, hat aber vor seiner Karriere als Schauspieler einen Abschluss in Literaturwissenschaften an der Princeton University erworben. Der Inhalt: Die Kuh Elsie erfährt, dass die etwas älteren Rinder nicht einfach so verschwinden, sondern direkt von der ländlichen Idylle in die Massenschlachtung überführt werden. Diesem Schicksal will sie entfliehen und wird dabei von einem Truthahn und einem Schwein begleitet, die zu ganz ähnlichen Erkenntnissen gelangt sind. Die Handlung ist von sehr merkwürdigen Voraussetzungen durchzogen, die das in Fabeln übliche Ausmaß überschreiten: Niemand erkennt beispielsweise am Flughafen, dass es sich bei den drei Reisenden nicht um gewöhnliche Menschen, sondern verkleidete Tiere handelt. Elsie hat da auch kein Problem mit der aufrechten Haltung. Die Kuh, die den Leser (oder Hörer) auch ab und zu direkt anspricht,  transportiert bekannte Erkenntnisse auf eine sehr belehrende und altkluge Art. Der Übersetzer Tim Vernes hat ihr eine aufgesetzt wirkende jugendliche Sprechweise gegeben, die im Laufe des Hörens immer nervtötender wird. Die bemühte "Eindeutschung" trug ihren Teil dazu bei, dass mir Heilige Kuh nicht besonders gut gefalen hat. 


Die Analphabetin...
Jonas Jonasson hat nach seinem "Hundertjährigen" den Roman Die Analphabetin, die rechnen konnte folgen lassen. In Südafrika wird 1961 die clevere, aber bitterarme Nombeko geboren, die durch einen Zufall zu großem Reichtum kommt, von dem aber niemand etwas wissen darf. Doch dann wird sie als junge Frau in einen Autounfall verwickelt, den ein weißer betrunkener Ingenieur verschuldet, der die Verantwortung für das streng geheime südafrikanische Atomwaffenprogramm trägt. Mit einer fadenscheinigen Begründung wird Nombeko dazu verurteilt, auf unbestimmte Zeit für den Ingenieur zu arbeiten. Sie ist ihrem neuen Chef intellektuell weit überlegen und schafft es, das Beste aus der Situation zu machen. Sie wird zu seiner unentbehrlichen Stütze, doch nach einigen Jahren gelingt ihr die Flucht, die sie bis nach Schweden führt. Spätestens ab dann beginnt die Geschichte abstrus und unglaubwürdig zu werden. Die Analphabetin, die rechnen konnte ist nach dem "Hundertjährigen" ein neuer Aufguss eines alten Schemas, der so wenig überzeugt, dass ich das Buch nach etwa zwei Dritteln abgebrochen habe.

Die Informanten1994 wurde die Originalausgabe von Die Informanten des US-amerikanischen Autors Bret Easton Ellis veröffentlicht. Darin geht es im Wesentlichen um das Leben der Reichen in Los Angeles während der 1980-er Jahre. Ellis schildert eine gnadenlose und rücksichtslose Haltung des "Geldadels" gegenüber den Normalbürgern, die an Kälte und Brutalität nicht zu überbieten ist. Ein Buch, in dem in rauen Mengen Drogen konsumiert werden, vergewaltigt und jede Menge Blut vergossen wird. Wer den letzten Anstoß für einen anhaltenden Brechreiz sucht, ist mit diesem Buch gut bedient.




HannoverZu den ärgerlichen Büchern des Jahres 2016 gehört auch Hannover - ein deutsches Machtzentrum des Journalisten Lutz Hachmeister. Ursprünglich als eine Art Reportage über den Verlauf der Karriere von Christian Wulff geplant, scheint Hachmeister irgendwann bemerkt zu haben, dass man mit Herrn Wulffs Lebenslauf kein Buch füllen kann, das dann für knapp 20 Euro verkauft werden soll. So musste dann jede Menge Füllmaterial her, das inhaltlich nur durch die Stadt Hannover notdürftig zusammengehalten werden konnte. Die teilweise sehr detaillierten Angaben werden hin und wieder so "genau", dass sie schlicht falsch sind. Ich wurde bis zur letzten Seite den Eindruck nicht los, dass dem Autor nichts anderes eingefallen ist, als seine eigenen Vorurteile über die niedersächsische Landeshauptstadt selbst zu bestätigen. Es fehlen Objektivität und die Vermittlung von Informationen, die dem Leser die Frage, ob es sich bei Hannover um ein deutsches Machtzentrum handelt, beantwortet.


Ausortiert und ...Ein paar Wochen später habe ich im Oktober ein weiteres Sachbuch gelesen, dessen Titel die fundierte Beschäftigung mit einem aktuellen und wichtigen Thema zu versprechen schien: Aussortiert und abkassiert - Altwerden in Deutschland des früheren Moderators der Wirtschaftssendung WISO, Michael Opoczynski, wartet mit Thesen auf, die entweder seit Jahren bekannt sind oder die auf den ersten Blick so einleuchtend erscheinen, dass der Leser unwillkürlich bestätigend mit dem Kopf nickt. Doch überprüft man stichprobenartig die eine oder andere Behauptung Opoczynskis, stellen sich einge von ihnen als genau das heraus: Behauptungen, die jeder faktischen Grundlage entbehren. Das ist sehr ärgerlich, weil davon auszugehen ist, dass viele Leser gerade diesem Autor aufgrund seiner früheren Position als Wirtschaftsjournalist einen Vertrauensvorschuss geben und unbesehen seine Äußerungen übernehmen. So werden falsche Inhalte in die Welt gesetzt, die sich kaum noch zurückholen lassen. Michael Opoczynski ist kurz, bevor er an diesem Buch gearbeitet hat, selbst Rentner geworden und scheint diesem neuen Status nur wenig abgewinnen zu können. Vielleicht erklärt das die Stimmungslage in Aussortiert und abkassiert - Altwerden in Deutschland ein bisschen.


Ausblick auf 2017

 

Für diesen Blog gibt es keinen Redaktionsplan. Ich habe also noch keinen Schimmer, über welche Bücher ich in den nächsten zwölf Monaten schreiben werde. Da mich viele Themen interessieren, wird das Spektrum aber voraussichtlich genauso abwechslungsreich sein wie 2015 und 2016. Ich bin selbst gespannt, was sich hier abspielen wird.