Samstag, 1. Juli 2017

# 106 - Ein Kind verschwindet

Eingespieltes Ermittlerteam stößt an seine Grenzen

 

Der mit den Glasaugen ist der zweite Teil einer Trilogie der schweizerischen Autorin Marta Monti, bei der wie schon im ersten Roman Auf ein Ewiges das Ermittlerduo Beta Bianca und Benno Bertschi (B&B) im Mittelpunkt steht. Sie und ihre Kollegen der Kriminalpolizei Bern müssen sich gleich zwei Themen stellen, die auch gestandenen Ermittlern an die Nieren gehen.

Wo ist Jan?

 

Alice Köhler hat ihren Mann verlassen und den fünfjährigen gemeinsamen Sohn Jan mitgenommen. Mit ihrem neuen Freund Richard Lang plant sie, nach Sardinien auszuwandern und dort ein neues Leben zu beginnen. Jan soll mitkommen, was weder das Kind noch dessen Vater will. Doch die Wünsche ihrer Mitmenschen lassen Alice Köhler kalt: Sie beeindruckt nicht durch ein mitfühlendes Wesen, sondern durch ihr blendendes Aussehen. Eines Abends bringt sie ihren Sohn ins Bett und verlässt das Haus, um sich mit ihrem Freund in einer Bar zu treffen. Nach ihrer Rückkehr ist das Kind unauffindbar. Mit ihrer Aussage, die offensichtliche Lügen enthält, gerät sie schnell in den Verdacht, etwas mit Jans Verschwinden zu tun zu haben. Allerdings äußert sie die Vermutung, ihr Ex-Mann könnte das Kind entführt haben, um zu verhindern, dass sie Jan mit nach Italien nimmt. Diese Theorie ist auf den ersten Blick gar nicht so unwahrscheinlich, denn zwischen den früheren Eheleuten herrscht eine erbitterte Feindschaft, bei der Jan als Spielball missbraucht wird. Außerdem befinden sich auf Köhlers Segelyacht Jans Teddy und sein Lieblingsbecher. Beide Gegenstände begleiten den Jungen, ohne sie geht er nirgendwo hin. 

Selbstsucht und Gefühlskälte bestimmen das Handeln


B&B erkennen rasch, dass es den Eltern nicht in erster Linie um das Wohl des Kindes geht, sondern darum, dem ehemaligen Partner zu schaden und ihm das Leben schwer zu machen. Ihre Befragungen ergeben allerdings auch, dass Jan Richard Lang auf die Nerven geht und er ihn auf keinen Fall mit nach Sardinien nehmen will. Auch er macht sich verdächtig. Je mehr Einzelheiten die Beamten über den Alltag der Familie Köhler herausfinden, desto mehr Personen kommen in Betracht, etwas mit Jans Verschwinden zu tun zu haben oder etwas darüber zu wissen. Zwei Dinge stehen jedoch fest: In der Verwandtschaft und Nachbarschaft der Familie gibt es praktisch niemanden ohne eine seelische Störung oder ein sonderbares Sozialverhalten. Ein besonderes Augenmerk haben die Beamten auf den einschlägig vorbestraften Nachbarn Seiler, den sie rasch verdächtigen, mit Kinderpornographie und Kindesmissbrauch zu tun zu haben. Auch ein bekannter Bauunternehmer und ein Justizbeamter geraten in den Fokus der Nachforschungen. Und: So sehr die Berner Kripo den Jungen sucht, es gibt keine brauchbare Spur, die zu ihm führt. Die Akten werden vorläufig geschlossen.

Kommissar Zufall bringt die Ermittlungen voran

 

Eineinhalb Jahre später wird Jans Leiche von zwei Kletterern in einer Felsspalte der Falkenfluh, einem Kletterberg zwischen Bern und Thun, gefunden. Noch vor der pathologischen Untersuchung ist klar, dass es sich um das vermisste Kind handeln muss, da der Junge einen auffälligen Pyjama trägt. Der Fall wird wieder aufgerollt, und die Ermittlungen nehmen Fahrt auf. Der Rechtsmediziner findet heraus, dass Jan wahrscheinlich erstickt wurde. Das Duo B&B hofft im Zuge einer Dienstreise, in Italien neue Erkenntnisse zu gewinnen. Der Fundort und die ungewöhnliche Körperhaltung des toten Kindes engen den Kreis der möglichen Täter deutlich ein.

Wie war's?


Der mit den Glasaugen ist ein Krimi, der sich einem Thema widmet, das so gut wie niemanden kalt lässt: Verbrechen an Kindern erschüttern auch dann, wenn man die Opfer nicht gekannt hat. So ist es auch hier. Die Autorin nutzt jedoch die Chancen, die dieses Delikt für den weiteren Verlauf bietet, nicht aus: Der Handlung fehlt es an Spannung, und der Verdacht, dass das Kind nicht mehr am Leben ist, drängt sich dem Leser bereits zu einem Zeitpunkt auf, als die Ermittler noch Hubschrauber und Mantrailer in die schweizerische Bergwelt schicken. Die Untersuchung der Alibis der dringend Verdächtigen und die Überprüfung aller Aussagen auf Unwahrheiten und Widersprüche werden erst begonnen, nachdem das tote Kind gefunden wird. Da drängt sich die Frage auf, warum man die letzten 18 Monate nicht sinnvoll genutzt und diese Basisarbeit erledigt hat. 
Wer den ersten Teil der Trilogie nicht gelesen hat, hat es mitunter schwer, sich in die Figuren hineinzuversetzen: Mehrere Beamte haben sehr spezielle Verhaltensmuster, die zunächst nur als schrullig wahrgenommen werden können. Was hinter ihnen steht, können sich die Leser im weiteren Verlauf zusammenreimen, wirklich verstehen kann man sie nicht.
Wer das Buch aufmerksam liest, stolpert immer wieder über Ungereimtheiten: Dass die Fassadenreinigung des Berner Polizeigebäudes auch nach eineinhalb Jahren noch in vollem Gange ist und einer der Kriminalbeamten verschiedenfarbige Pupillen haben soll, sind die kleineren Ungenauigkeiten. Ein Lektorat hätte der Handlung gutgetan. Auch ein Korrektorat hätte geholfen, die zahlreichen den Lesefluss bremsenden Kommafehler zu vermeiden und dem Genitiv eine Chance zu geben.

Der mit den Glasaugen ist bei tredition erschienen und als E-Book (2,99 €), Paperback (15,99 €) und Hardcover (23,99 €) erhältlich.